Zur Eignung der Schwacke-Liste als Schätzgrundlage

LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 10.08.2011 – 8 S 4302/11

1. Die Kammer trägt in Änderung ihrer bisherigen Rechtsprechung den Angriffen gegen die Eignung der Schwackeliste als Schätzgrundlage des Normaltarifs zur Anmietung eines Ersatzfahrzeugs durch einen Abschlag in Höhe von 17% Rechnung.

2. Zur Berücksichtigung von Nebenkosten (Zustellkosten, Winterreifen, Zusatzfahrer, Haftungsbefreiung) bei der Ermittlung des Normaltarifs.

(Leitsätze des Gerichts)

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten vom 20.05.2011 wird das Urteil des Amtsgerichts Nürnberg vom 03.05.2011 abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 569,59 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 17.02.2011 zu bezahlen.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte 45%, der Kläger 55%.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.


Beschluss:

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.279,83 € festgesetzt.


Gründe

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Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet (§§ 517, 519 f. ZPO). In der Sache ist das Rechtsmittel überwiegend begründet.

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A. In tatsächlicher Hinsicht wird auf den Tatbestand des Ersturteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO). Das Amtsgericht hat der auf Zahlung restlicher Mietwagenkosten in Höhe von 1.279,83 € erhobenen Klage in vollem Umfang stattgegeben, nachdem die Beklagte auf die ursprünglich geltend gemachten 2.161,62 € vorgerichtlich einen Betrag in Höhe von 881,79 € reguliert hat. Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die ihren erstinstanzlichen Klagabweisungsantrag in vollem Umfang weiter verfolgt.

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Eine Beweisaufnahme hat nicht stattgefunden. Auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen wird Bezug genommen.

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B. Das Amtsgericht hat die volle Einstandspflicht der Beklagten zu Unrecht bejaht.

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I. Das Amtsgericht hat die dem Kläger nach dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall vom 30.11.2010 für die Zeit vom 30.11.2010 bis 15.12.2010 entstandenen Mietwagenkosten zustehenden Ersatzansprüche verfahrensfehlerhaft – mit dem Kläger – auf der Grundlage der sog. Schwackeliste (Automietpreisspiegel) 2010 errechnet, ohne den gegen diese Schätzgrundlage seitens der Beklagten vorgebrachten konkreten Einwendungen ausreichend Rechnung zu tragen. Das angefochtene Urteil beruht damit auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1, 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, 546 ZPO).

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II. Die Parteien streiten alleine um die Art der Ermittlung der noch streitgegenständlichen erforderlichen Mietwagenkosten, insbesondere um die Anwendbarkeit des Schwacke-Mietpreisspiegels (Schwackeliste). Die Beklagte hat gegen die Eignung der Schwackeliste als Schätzgrundlage verschiedene Einwendungen erhoben; so sei insbesondere die sog. Fraunhofer-Liste aufgrund methodischer Vorzüge besser geeignet, den erforderlichen regionalen Mietwagentarif im Normaltarif abzubilden. Die Beklagte hat zum Beweis hierfür die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Darüber hinaus hat die Beklagte ein Mietwagenangebot aus dem Internet für ein vergleichbares Fahrzeug zum „fraglichen Zeitraum“ vorgelegt, das Kosten in Höhe von insgesamt 666,98 € ausweist. Dem ist der Kläger nicht entgegengetreten.

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III. Die Kammer hält grundsätzlich an der Eignung und Anwendbarkeit der Schwackeliste fest. Die Kammer sieht aber die hiergegen vorgebrachten Einwände jedenfalls zum Teil als nicht unberechtigt an. Diesen Einwänden, die im Ergebnis auf den Vorwurf hinauslaufen, dass die in der Schwackeliste abgebildeten Mietwagentarife die tatsächliche Marktlage nur überhöht wiedergäben, trägt die Kammer durch einen Abschlag von den in der Schwackeliste genannten Werten Rechnung. Diesen Abschlag setzt die Kammer mit 17% an. Im Einzelnen:

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1. Die Art der Schätzungsgrundlage zur Ermittlung der erforderlichen und damit ersatzfähigen Kosten für die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs gibt der insoweit einschlägige § 287 ZPO nicht vor. Die Schadenshöhe darf lediglich nicht auf der Grundlage falscher oder offenbar unsachlicher Erwägungen festgesetzt werden und ferner dürfen wesentliche, die Entscheidung bedingende Tatsachen nicht außer Acht bleiben. Auch darf das Gericht in für die Streitentscheidung zentralen Fragen auf nach Sachlage unerlässliche fachliche Erkenntnisse nicht verzichten. Gleichwohl können in geeigneten Fällen Listen oder Tabellen bei der Schadensschätzung Verwendung finden (st. Rspr. zuletzt BGH VersR 2011, 1026 und VersR 2011, 769). Die Kammer ist als Tatgericht in Ausübung ihres Ermessens nach § 287 ZPO frei, den „Normaltarif“ grundsätzlich auch auf der Grundlage der Schwackeliste zu ermitteln (BGH aaO). Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Schätzung auf der Grundlage anderer Listen oder Tabellen, wie etwa der sog. Fraunhofer-Liste grundsätzlich rechtsfehlerhaft wäre. Die Listen dienen nur als Grundlage für eine Schätzung nach § 287 ZPO, so dass im Rahmen des eröffneten Ermessens von diesen Listen etwa auch durch Abschläge oder Zuschläge auf den sich aus ihnen ergebenden Normaltarif abgewichen werden kann (BGH VersR 2011, 1026). Die Eignung von Listen oder Tabellen, die bei der Schadensschätzung Verwendung finden können, bedarf in diesem Zusammenhang nur der Klärung, wenn mit konkreten Tatsachen aufgezeigt wird, dass geltend gemachte Mängel der Schätzungsgrundlage sich auf den zu entscheidenden Fall in erheblichem Umfang auswirken (BGH VersR 2011, 1026 und VersR 2011, 769). Aufgrund der durch § 287 ZPO eröffneten Freiheit bei der Verwendung geeigneter Listen kann das Gericht bei berechtigten Zweifel an der Eignung einer Liste deren Heranziehung ablehnen (BGH VersR 2011, 1026 und VersR 2011, 769).

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2. Im Sinne der vorstehend zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung relevante Einwände, die zu einer expliziten Klärung der Eignung der Schwackeliste als Schätzgrundlage nötigen würden, sind nicht bereits mit dem bloßen Hinweis auf die Existenz der Fraunhofer-Liste und aus deren Anwendung resultierender abweichender Tarife erhoben. So ist eben alleine der Umstand, dass die vorhandenen Markterhebungen im Einzelfall zu deutlich voneinander abweichenden Ergebnissen führen können nicht ausreichend, um Zweifel an der Eignung der einen oder anderen Erhebung als Schätzgrundlage zu begründen (so ausdrücklich BGH VersR 2011, 769). Die Kammer hat in der Vergangenheit stets auf die (auch) für die Fraunhofer-Liste bestehenden generellen Kritikpunkte hingewiesen: Beispielhaft genannt seien hier die Stichworte überproportionale Gewichtung des Internetangebots, verfälschende Wiedergabe des einschlägigen regionalen Preises durch Ansatz zweistelliger Postleitzahlenbereiche und Ermittlung des Miettarifes unter Berücksichtigung einer Buchungsfrist (Kammerurteile v. 24.02.2010 – 8 S 8302/09 und v. 24.06.2009 – 8 S 1170/09). Auch in der obergerichtlichen Rechtsprechung werden diese Argumente – teils mit unterschiedlicher Akzentuierung – zur Ablehnung der Fraunhofer-Liste angeführt (vgl. etwa OLG Dresden, SP 2010, 17; OLG Karlsruhe, NZV 2010, 472 f.; OLG Köln (5. ZS), NZV 2010, 614, 615; OLG Köln (24. ZS), NZV 2009, 447, 448; OLG Köln (15. ZS), NZV 2010, 144 ff.; OLG Köln (13. ZS), Beschluss vom 20. April 2009 – 13 U 6/09, juris; OLG Stuttgart, VersR 2009, 1680, 1681 f.). Die Kammer sieht die Kritik an der Fraunhofer-Liste im Ergebnis als solchermaßen berechtigt und überzeugend an, dass eine Überlegenheit der Fraunhofer-Liste gegenüber der – wenngleich auch nicht vollends bedenkenfreien – Schwackeliste jedenfalls nicht erkannt werden kann.

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3. Die Kammer ist sich der Kritik an der Schwackeliste (weiterhin) bewusst. Insbesondere der bekannte Umstand, dass die Erhebung der Schwacke-Liste nicht „verdeckt“, sondern „offen“ erfolgt, also der Zweck der Preisermittlung den angefragten Autovermietern bekannt ist, ist der Ermittlung eines tatsächlichen Marktpreises zumindest nicht förderlich (so schon Kammerurteil v. 24.02.2010 – 8 S 3350/09). Die Kammer hat in der Vergangenheit aber auch den Versuchen eine Absage erteilt, die Schwackeliste durch konkrete, individuelle Einzelangebote aus dem einschlägigen Postleitzahlenbereich als überhöht und damit ungeeignet darzustellen. Angesichts der jüngsten Rechtsprechung des BGH zu dieser Problematik sieht sich die Kammer aber zu einer rechtsfehlerfreien Begründung des uneingeschränkten Fortbestands der Schwackeliste als geeigneter Schätzgrundlage in solchen Fällen nicht mehr in der Lage. So hat der BGH es als Anlass, eine Überprüfung der Eignung der Schwackeliste für unausweichlich zu erachten ausreichen lassen, wenn vorgetragen und mit konkreten Mietpreisangeboten und Einholung eines Sachverständigengutachtens unter Beweis gestellt wird, dass ein vergleichbares Fahrzeug zu konkret benannten, wesentlich günstigeren Preisen bestimmter anderer Mietwagenunternehmen hätte angemietet werden können (BGH VersR 2011, 1026).

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So verhält es sich auch im konkreten Streitfall: Die Beklagte hat zum Beweis der Erforderlichkeit der Mietwagenkosten die Einholung eines Sachverständigengutachtens beantragt. Darüber hinaus hat die Beklagte ein Mietwagenangebot aus dem Internet für ein Fahrzeug der vergleichbaren Klasse zum „fraglichen Zeitraum“ vorgelegt, das Kosten in Höhe von insgesamt nur 666,98 € ausweist. Dem ist der Kläger nicht entgegengetreten.

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Dass vorgelegte Vergleichsangebote ggf. naturgemäß i.d.R. erst einige Zeit nach der tatsächlichen Anmietung des streitgegenständlichen Ersatzfahrzeugs eingeholt werden können, änderte nichts daran, dass sich unter Berücksichtigung des ganz erheblich unter der Schwackeliste liegenden Angebotspreises berechtigte Zweifel an deren uneingeschränkten Eignung ergeben (vgl. auch OLG Koblenz DAR 2011, 327). Hinzu kommt schließlich noch die aus einer Vielzahl von Verfahren gewonnene Erkenntnis der Kammer, dass die zunächst durch Mietwagenunternehmen in Rechnung gestellten Tarife bei einer richterlichen Überprüfung seitens der Mietwagenunternehmen nicht bis „zum Äußersten“ durchgesetzt wurden, sondern sich Mietwagenunternehmen letztlich mit einem reduzierten Tarif zufrieden gaben bzw. geben mussten. Dies bedeutet aber, dass die in Rechnung gestellten Tarife nicht mit den tatsächlich durchgesetzten bzw. durchsetzbaren identisch waren. Gleichwohl fließen in die Erhebung der Schwackeliste die in Rechnung gestellten, aber tatsächlich nicht durchsetzbaren Tarife ein. Dass dies zu einer Verzerrung der ermittelten Tarife führen kann, liegt zumindest nicht fern. Letztlich will sich die Kammer damit der Erkenntnis, dass die Preise der Schwackeliste die tatsächliche Marktsituation in einer nicht unerheblichen Vielzahl von Fällen nicht realistisch, sondern schlicht zu hoch abbildet, nicht verschließen.

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4. Folge dieser Erkenntnis ist aber nicht, dass nun zwangsweise die Fraunhofer-Liste als überlegene und damit „unausweichliche“ Schätzgrundlage angewendet werden müsste. Die vorstehend skizzierten strukturellen Mängel der Fraunhofer-Liste treten gegenüber einer „bloßen“ Überhöhung der in der Schwackeliste abgebildeten Preise nicht plötzlich zurück. Jene würden sich auch bei einer Schätzung auf Grundlage der Fraunhofer-Liste unter Berücksichtigung eines gewissen Zuschlags (so z.B. LG Ansbach NZV 2011, 132: 20%) weiterhin auswirken. Mängel der Fraunhoferliste würden in gleicher Weise bei einer Abrechnung im Wege des arithmetischen Mittels von Fraunhofer-Liste und Schwackeliste (so etwa die Schätzung nach OLG Saarbrücken, NJW-RR 2010, 541 und jüngst LG Detmold Urt. v. 29.06.2011 – 10 S 16/11, juris) auf das Ergebnis durchschlagen. Nach Abwägung aller zu Gebote stehenden Optionen kommt die Kammer im Rahmen des nach § 287 ZPO eingeräumten Ermessens deshalb zu der Überzeugung, dass die Anwendbarkeit der Schwackeliste bei einem Abschlag auf die darin niedergelegten Tarife weiterhin grundsätzlich gewahrt bleibt. Diese Lösung vermeidet die Mängel der Fraunhofer-Liste und gleicht den „Kernmangel“ der Schwackeliste aus.

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5. Die Kammer setzt den vorzunehmenden Abschlag mit 17% an.

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Diesen Abschlag hält die Kammer nach ihrer umfangreichen Erfahrung als Spezialkammer für Verkehrsunfallsachen für realistisch, um den vorgebrachten Bedenken Rechnung zu tragen. Die Kammer hat hierbei die Differenzen von im Streitfall und einer Vielzahl weiterer Verfahren vorgelegten Vergleichsangeboten zu den Tarifen der Schwackeliste gegeneinander abgewogen. Die Höhe des Abschlags ist auch noch durch folgende Erwägung beeinflusst: Die Kammer hat bislang den – in entsprechenden Ausnahmefällen – zu gewährenden Zuschlag auf den nach der Schwackeliste ermittelten Normaltarif im Fall der Inanspruchnahme unfallbedingter Mehraufwendungen mit 30% angesetzt. Zunehmend wird dieser Zuschlag in der Rechtsprechung aber eher in einem Bereich von 20% als ausreichend erachtet (OLG Frankfurt Schaden-Praxis 2010, 401; OLG Köln NZV 2010, 614; OLG Karlsruhe VersR 2008, 92). Dem schließt sich Kammer nunmehr an und wird in Zukunft einen – hier nicht streitgegenständlichen – Zuschlag wegen konkret in Anspruch genommener unfallbedingter Mehrleistungen (Stichwort z.B.: Eilsituation, vgl. z.B. OLG Köln Urt. v. 18.03.2011 – 19 U 145/10) mit 20% auf den nach der Schwackeliste (mit Abschlag) ermittelten Normaltarif beziffern. Geht man nach dem Vorstehenden davon aus, dass die Tarife der Schwackeliste aufgrund ihrer Überhöhung zunehmend statt des Normaltarifs den demgegenüber erhöhten Unfallersatztarif widerspiegeln, erscheint eine Korrektur des Normaltarifs auf den vorstehend beschriebenen Sockelbetrag sachgerecht. Dies bedeutet, dass bei einem zunächst vorgenommenen Abschlag auf die Werte der Schwackeliste in Höhe von (gerundet) 17% dann im Fall der Inanspruchnahme unfallbedingter Mehraufwendungen mit einem Zuschlag von 20% der Tarif der Schwackeliste ohne Abschlag zuzusprechen wäre.

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6. An dieser Modifikation der anzuwendenden Schätzgrundlage sieht sich die Kammer auch nicht dadurch gehindert, dass das Amtsgericht die Schwackeliste – der bisherigen Rechtsprechung der Kammer folgend – ohne Abschlag angewendet hat. Das Berufungsgericht kann im Fall einer auf § 287 ZPO gründenden Entscheidung auch nach der Reform des Rechtsmittelrechts durch das Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1887) den Prozessstoff auf der Grundlage der nach § 529 ZPO berücksichtigungsfähigen Tatsachen ohne Bindung an die Ermessensausübung des erstinstanzlichen Gerichts selbständig nach allen Richtungen von neuem prüfen und bewerten (BGH VersR 2011, 769; so auch unlängst die Kammer für den Anwendungsbereich des § 17 Abs. 1, 2 StVG: NZV 2011, 346). Selbst wenn das Berufungsgericht die erstinstanzliche Entscheidung zwar für vertretbar hält, letztlich aber bei Berücksichtigung aller Gesichtspunkte nicht für sachlich überzeugend, darf es deshalb nach seinem Ermessen eine eigene Bewertung vornehmen (BGH VersR 2011, 769).

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7. Im Einzelnen bedeutet dies für die Berechnung des dem Kläger zustehenden erforderlichen Ersatzbetrags folgendes:

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a) Der Berechnung der erforderlichen Mietwagenkosten ist als Ausgangsbasis die Schwackeliste zugrunde zu legen, die die im Anmietzeitraum maßgeblichen Tarife abbildet. Dies ist nicht die Liste, die im Anmietzeitraum bereits gedruckt bzw. erschienen war, sondern diejenige, die die im Anmietzeitraum relevanten Tarife widerspiegelt. Nachdem die jeweiligen Erhebungen zu den Tarifen jeweils regelmäßig im Monat April beginnen (so das Vorwort („Editorial“) zur Schwackeliste), ist der 01.04. der maßgebliche Stichtag für die Anwendung der Liste. Hier erfolgte die Anmietung vom 30.11.2010 bis zum 15.12.2010, so dass die Schwackeliste 2010 maßgeblich ist.

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b) Der einschlägige Listenwert ist der des Segments „Modus“. Dies entspricht der st. Rspr. beider Verkehrskammern des Landgerichts und ist im Rahmen des durch § 287 ZPO eröffneten Ermessens höchstrichterlich gebilligt (vgl. BGH VersR 2010, 1053 und VersR 2009, 1243). Der Wert Modus, der den am häufigsten genannten Wert (d.h. Mietwagentarif) widerspiegelt, mag aus wissenschaftlich-statistischen Erwägungen angezweifelt werden; auf deren Grundlage wäre der durchschnittliche Wert („arithmetisches Mittel“) bzw. mit dem Amtsgericht der jenem am nächsten liegende reale Wert („nahes Mittel“) anzuwenden. Dieser Wert spiegelt aber nicht die i.S.d. § 249 BGB „erforderlichen“ Mietwagenkosten wider. In diesem Zusammenhang ist nicht darauf abzustellen, was ein Unfallgeschädigter durchschnittlich für einen Mietwagen zu zahlen gehabt hätte, sondern welcher Betrag ihm auf dem gesamten relevanten Markt voraussichtlich am wahrscheinlichsten „begegnet“ wäre. Dieser Wert wird nach Ansicht der Kammer aber am realistischsten durch das Segment „Modus“ abgebildet. Nur dann, wenn in der Schwackeliste ein Wert im Segment „Modus“ nicht gelistet ist, kommt der Wert des „nahen Mittels“ zur Anwendung.

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c) Zum Tarifvergleich ist das Postleitzahlengebiet heranzuziehen, in dem die Anmietung und Übernahme des Mietwagens erfolgte (z.B. der Ort der Reparaturwerkstatt) und nicht dasjenige des Wohnorts des Geschädigten (BGH VersR 2008, 699). Dies ist hier unstreitig das Gebiet 904.

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d) Bei der Verwendung von Schätzlisten ist bei längeren Mietzeiten – wie sie auch hier streitgegenständlich sind – zu berücksichtigen, dass sich hieraus ein Kostenvorteil für den Mieter ergibt (Rogler in Stiefel/Maier, AKB 18. Aufl. SE Rn. 68). Die Kammer trägt der Kostendegression dadurch Rechnung, dass sie auf denjenigen Tarif abgestellt, der der Anmietdauer am nächsten kommt (hier: Wochentarif) und diesen auf die Zahl der konkreten Miettage herunterrechnet (vgl. die der Entscheidung BGH VersR 2008, 1706 zugrunde liegende Berufungsentscheidung). Für die hier unstreitig maßgebliche Mietwagenklasse 6 ergeben sich damit ausgehend vom Wochentarif mit 454 € bei 16 Tagen 1.037,76 €.

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e) Durch die Nutzung eines Ersatzfahrzeugs anstelle des eigenen, beschädigten Fahrzeugs erspart sich der Geschädigte Aufwendungen für sein eigenes Fahrzeug. Folglich sind die Mietwagenkosten entsprechend zu kürzen (vgl. BGH VersR 1996, 902; BGH NJW 1963, 1399). Diese Kürzung setzt die Kammer in ständiger Rechtsprechung dem zuständigen Berufungsgericht folgend mit 3% fest (OLG Nürnberg VersR 2001, 208 und Urteil vom 26.10.2006, Az. 2 U 1667/06). Soweit aufgrund der fehlenden Sonderzuständigkeit für Verkehrssachen beim OLG Nürnberg vereinzelt – ohne Begründung – mit einem Abzug von 10% gearbeitet wird, vermag dies die Kammer, anders als die begründete Entscheidung des OLG Nürnberg in VersR 2001, 208, nicht zu überzeugen. Bei 3% errechnen sich Mietwagengrundkosten in Höhe von 1.006,63 €.

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f) Die zusätzlich geltend gemachten Kosten für Winterreifen sind zu erstatten. Unstreitig war das angemietete Fahrzeug mit Winterreifen ausgestattet. Auf weiteres kommt es nicht an, da die Kosten für eine Ausstattung eines Mietwagens mit Winterreifen in den in der Schwackeliste genannten Preisen nicht berücksichtigt sind. Dies ergibt sich ohne weiteres aus dem Umstand, dass sie als Nebenkosten im Anhang der Schwacke-Liste gesondert aufgeführt werden. Der Umstand, dass ein PKW verkehrssicher übergeben werden muss (vgl. den zum Anmietzeitpunkt bereits geltenden § 2 Abs. 3a S. 1 StVO), tritt vor diesem Hintergrund als unbeachtlich zurück. Dies mag so sein, hat jedoch letztlich mit der Frage, welche durchschnittlichen Preise als Schätzungsgrundlage zugrunde gelegt werden können, nichts zu tun. Zieht man die Schwacke-Liste als Schätzgrundlage heran, so ist es nur konsequent, die dort genannten Beträge auch in ihrer gesamten Breite – und somit inklusive Winterreifenzuschlag von 10 € täglich – anzusetzen, wenn und soweit dem Geschädigten ein solcher Zuschlag tatsächlich in Rechnung gestellt wird (so bereits LG Nürnberg-Fürth Urt. v. 22.10.2008 – 8 S 3010/08; vgl. auch BGH VersR 2009, 1243). Maßgeblich ist auch hier – wie für Nebenkosten generell – das Segment „Modus“. Hinzuzurechen sind also weitere 160 €.

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g) Der zusätzliche Aufwand für den erforderlichen Einsatz eines Zusatzfahrers ist ebenfalls zu erstatten. Muss der Geschädigte solche Zusatzkosten aufwenden, um den Mietwagen von einem zusätzlichen Fahrer steuern lassen zu dürfen, können diese erstattungsfähig sein (OLG Köln NZV 2007, 199; vgl. BGH VersR 1996, 902). Es bedarf aber dazu der Feststellung, dass der Geschädigte mit dem Vermieter überhaupt einen Zusatzfahrer vereinbart hat (BGH VersR 2009, 1243). Anders als die Berufungsbegründung moniert, findet sich hierzu in der Klage S. 4 o. entsprechender Vortrag, der durch die vorgelegte Mietwagenrechnung untermauert wird, in der Zusatzkosten für den vereinbarten Einsatz eines Zusatzfahrers ausgewiesen sind. Damit sind weitere 16 Tage zu je 12 €, also 192 € anzusetzen.

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h) Kosten der Zustellung und Abholung des Ersatzfahrzeugs können – je nach den Umständen des Einzelfalls – erforderlich sein. Dies ist zu bejahen, wenn eine Selbstabholung nicht möglich oder unzumutbar (teuer) gewesen wäre (OLG Dresden Schaden-Praxis 2006, 63). Zur Erforderlichkeit ist zumindest bei Anmietung „im Stadtgebiet“ substantiierter Vortrag erforderlich (BGH VersR 2006, 133). Dem Vortrag des Klägers hierzu, wonach der Weg von der Reparaturwerkstatt, zu der das Ersatzfahrzeug zugestellt wurde zur Autovermietung mit öffentlichen Verkehrsmitteln nicht zumutbar sei, vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Die Strecke ist mit Bus und U-Bahn ohne weiteres zu leisten. Die hierfür angefallenen Kosten setzt die Kammer mit 5 € an.

26

i) Die Kosten für die Haftungsbefreiung hat das Amtsgericht zutreffend berücksichtigt: Besteht für das beschädigte Fahrzeug Vollkaskoversicherungsschutz, ist ein entsprechender Schutz für den Mietwagen grundsätzlich erstattungsfähig (BGH VersR 1974, 657). Die Kosten einer für das Ersatzfahrzeug abgeschlossenen Haftungsfreistellung sind aber auch dann ersatzfähig, wenn das eigene Fahrzeug des Geschädigten zum Unfallzeitpunkt nicht vollkaskoversichert war, aber der Geschädigte während der Mietzeit einem erhöhten wirtschaftlichen Risiko ausgesetzt ist. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn das beschädigte Fahrzeug schon älter war und als Ersatzfahrzeug ein wesentlich höherwertigeres Fahrzeug angemietet wird. Im Übrigen ist die Anmietung eines Ersatzfahrzeugs mit Vollkaskoschutz in der Regel eine adäquate Schadensfolge (BGH VersR 2005, 568; BGH VersR 2006, 133). Im letzteren Fall sind aber unter dem Gesichtspunkt eines Vorteilsausgleichs Abzüge vorzunehmen (§ 287 ZPO), die die Kammer in st. Rspr. mit 50% bemisst (ebenso OLG Karlsruhe NJW-RR 2008, 1113; vgl. auch BGH VersR 2005, 568). Die insoweit anzusetzenden 384 € greift die Berufung dem Grunde nach auch nicht an.

27

j) Von diesem insgesamt auf der Grundlage der Schwackeliste ermittelten Wert ist sodann der Abschlag in Höhe von 17% vorzunehmen, wobei die hier außerhalb der Schwackeliste geschätzten Zustell- und Abholkosten von dieser Korrektur ausgenommen sind. Es errechnen sich damit letztlich 1.451,38 €. Bei bereits regulierten 881,79 € sind damit noch weitere 569,59 € zuzusprechen.

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8. Die Kammer sieht sich schließlich noch veranlasst darauf hinzuweisen, dass die vorstehenden Ausführungen über den hier zu entscheidenden Einzelfall hinaus Gültigkeit haben. Die Überlegungen, die für den Schluss auf eine nur noch eingeschränkte Überzeugungskraft der Schwackeliste der Höhe nach maßgeblich sind, beeinflussen in gleicher Weise die Bewertung vergleichbarer Streitfälle. Dies gilt ausdrücklich auch für Sachverhalte, in denen ein dem Vorstehenden vergleichbar konkreter Angriff gegen die Schwackeliste nicht vorgetragen wird. Die für die übrigen Amtsgerichte des Landgerichtsbezirks Nürnberg-Fürth als Berufungskammer für Verkehrssachen zuständige 2. Zivilkammer hat auf Anfrage mitgeteilt, sich den vorstehenden Erwägungen der Kammer in jeder Hinsicht anzuschließen. Gleiches gilt für die erstinstanzlich zuständigen Einzelrichter beider Verkehrskammern.

29

C. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

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D. Die Revision wird mangels Vorliegen der Zulassungsvoraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht zugelassen. Es handelt sich bei der Frage nach der Anwendung der geeigneten Schätzgrundlage um eine Entscheidung auf der Grundlage des § 287 ZPO. Dem Revisionsgericht wäre eine inhaltliche Überprüfung dieser den Tatrichter nach § 287 ZPO besonders frei stellenden Ermessenentscheidung somit in nur ganz begrenztem Umfang möglich (BGH VersR 2011, 769). Allgemeingültige Vorgaben für die Anwendung der „richtigen“ Schätzgrundlage könnte die Revisionsentscheidung nicht aufstellen. Der BGH hat die insoweit entstandene Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung ausdrücklich revisionsrechtlich nicht beanstandet (BGH VersR 2011, 769). Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 ZPO liegen demnach nicht vor.

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